30.04.2013

Jugendarbeitslosigkeit in Europa: "Viele spanische Jugendliche sind derzeit unglaublich frustriert"

Helena Schulz Jimeno vom spanischen Gewerkschaftsbund CCOO gibt Einblicke in die Situation junger Menschen in Spanien. Das Interview wurde am Rande des 6. Fachforum Europa in Bonn geführt. Die Dokumentation des Fachforums ist ebenfalls online.

Europa zusammenhalten – aber wie? Mit dieser Frage haben sich die Fachkräfte der europabezogenen Jugendbildung aus der formalen und nicht formalen Bildung sowie aus Politik und Forschung auf dem 6. Fachforum Europa beschäftigt.

Eine der eingeladenen Expertinnen war Helena Schulz Jimeno vom spanischen Gewerkschaftsbund CCOO in Madrid, der rund eine Million Mitglieder zählt. Mit ihr sprach Marco Heuer über die gegenwärtige Situation der Jugendlichen in Spanien.

Frau Schulz, wie erleben Jugendliche in Spanien die aktuelle Krise in Europa?

Das Thema Europa ist seit Beginn der Krise immer wichtiger geworden. Es wird nicht nur in den Medien, sondern auch in den sozialen Netzwerken, in Foren und alternativen Informationsplattformen ständig darüber berichtet und diskutiert. Seit 2011 gibt es in Spanien Großdemonstrationen, an denen sich vor allem die Jugendlichen immer wieder stark beteiligen. Auch dort ist Europa ein Hauptthema.

Verwundert Sie das?

Nein, schließlich waren ja viele der Politiken, die von der konservativen Regierung in Spanien umgesetzt wurden, quasi von Europa diktiert worden. Auch wir Gewerkschaften diskutieren das. Fakt ist: Die Jugendlichen in Spanien erleben die Krise vor allem als einen Angriff auf ihre Rechte. Sie spüren eine exponentielle Zunahme der Arbeitslosigkeit, der befristeten Arbeitsverträge, der Niedriglöhne. Hinzu kommt die Unmöglichkeit, eine Wohnung zu annehmbaren Preisen zu finden. Die soziale Absicherung nimmt ab. Das Leben wird jeden Tag prekärer.

Wie groß sind die Zukunftssorgen der Jugendlichen?

Die Ängste sind groß. Die Jugendarbeitslosigkeit betrifft jeden Zweiten unter 25 Jahren, bei den unter 30-Jährigen sind es 40 Prozent. Diese Lage macht es schwer, sich eine Zukunft vorzustellen, in der man selbstständig ist und eine gute und sichere Arbeit hat. Viele Jugendliche überlegen auszuwandern, wobei in den sozialen Netzwerken jetzt immer mehr das Motto vorkommt: "Wir gehen nicht, wir werden rausgeschmissen."

Die Jugend ist sich ihrer prekären Lage bewusst. Sie sucht nach Alternativen, aber nicht nur im Ausland. Auch die Politik hierzulande muss sich ändern. Der Angriff auf die Rechte der Bürger muss ein Ende haben – ebenso der Sozialabbau, die Kürzungen bei Bildung und Gesundheit.

Was müsste aus Sicht Ihrer Gewerkschaft geschehen?

Auf nationaler Ebene muss viel mehr in Bildung investiert werden. Wir müssen die Zahlen der Schulabbrecher reduzieren und uns um eine arbeitsfähige und professionelle Jugend kümmern. Die so genannte Austeritätspolitik, die nur auf Sparen setzt, führt jedenfalls zu einer Schwächung des Bildungssystems. Das kann sich Spanien nicht leisten. Wir brauchen gut ausgebildete Menschen.

Es gibt Bereiche, die durch die Immobilienblase praktisch vergessen wurden. Ich denke da an den Sektor der erneuerbaren Energien, Infrastrukturmaßnahmen usw. Da brauchen wir neue Investitionen in Forschungsprojekte.

Gehen Deutschland und Spanien unterschiedlich mit den Problemen der Jugendarbeitslosigkeit um?

Die Arbeitslosenzahlen in Deutschland und Spanien spiegeln zwei verschiedene Wirklichkeiten wider. Bei uns ist die Lage viel dramatischer. Wir kämpfen damit, die Rate der strukturellen Arbeitslosigkeit nicht noch mehr zu erhöhen. Manche sprechen von der Gefahr einer "verlorengegangenen Generation". Das ist in Deutschland nicht der Fall. Andererseits kann Deutschland den Niedriglohnsektor und die Armutslöhne nicht verbergen – jedes Land hat seine eigenen Probleme.

Können beide Länder voneinander lernen?

Es muss ein gemeinsames Anliegen sein, gute Arbeit zu schaffen – hier wie dort. Das duale Ausbildungssystem in Deutschland wird in Spanien beispielsweise sehr geschätzt. Da können wir noch viel nachbessern. In jedem Fall fordern wir Gewerkschaften, bei den Reformen dabei zu sein und bei der Krisenbewältigung eine aktive Rolle zu spielen.

Ein Europa von unten – wie kann das gelingen?

Ein Europa von unten wird nur gelingen, wenn die Rechte der Bürger und Arbeiter berücksichtigt werden. Der Sozialstaat darf nicht abgebaut, die Jugend nicht entmachtet werden. Schaut man sich die letzten Reformen des Arbeitsrechts in Spanien und anderen Ländern an, wird man den Eindruck nicht los, dass die Menschen "von unten" eher geschwächt werden sollen.

Europa sollte aber nicht in die Sozial- und Lohnsysteme der Länder eingreifen. Wir als Gewerkschaft sind jedenfalls überzeugt: Ein Europa von unten kann nur gelingen, wenn die Partizipationsmöglichkeiten der Bürger erweitert werden.

Was vermissen Sie in der gegenwärtigen Debatte über Europa?

Mir fehlt es an Solidarität. Es darf zu keiner Spaltung Europas kommen – dafür war der Prozess der Integration für viele Länder und Bürger zu wichtig. Ein Auseinanderbrechen der Europäischen Union würde dramatische Konsequenzen mit sich bringen.

Die Boulevard-Medien in vielen Ländern haben aber eine entgegengesetzte Botschaft geschickt: Deutschland würde es ohne die "faulen" Griechen und Spanier viel besser gehen. Diese Analyse ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Wir brauchen mehr Europa, aber ein anderes, als wir es derzeit haben.

Wie kann man Jugendliche denn am besten für Europa "interessieren"?

Eigentlich ganz einfach. Sie müssen so informiert und angesprochen werden, dass sie an der Mitgestaltung des europäischen Projekts auch wirklich teilhaben können. Mechanismen und Strukturen in Europa begreifen, die europäische Gesetzgebung verstehen – darum geht es.

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Das jährlich stattfindende Fachforum Europa bietet eine Plattform für Fachkräfte der europabezogenen Jugendbildung. Eine Dokumentation des Fachforum Europa 2013 "Europa zusammenhalten - aber wie?" haben wir hier für Sie zusammengestellt.

Veranstaltet wurde das Fachforum in diesem Jahr von JUGEND für Europa, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Netzwerk Europäische Bewegung und der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar.

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