07.03.2013

Fachforum Europa 2013: "Viele Ideen in der Krise"

Europa zusammenhalten – aber wie? Mit dieser Frage haben sich die Fachkräfte der europabezogenen Jugendbildung sowie aus Politik und Forschung auf dem 6. Fachforum Europa beschäftigt, das vom 26. bis 27. Februar in und mit der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn stattfand.

Es war keine leichte Kost, die Barbara Lippert den Zuhörern in ihrem Eröffnungsvortrag bot, aber eine lohnende war es allemal. Ganz so, als müsse man sich Europa eben doch auch immer erst ein bisschen erarbeiten, analysierte die Forscherin der Stiftung Wissenschaft und Politik nicht nur den Status Quo des gegenwärtigen Krisen-Europa, sie skizzierte auch Handlungsoptionen.

"Entscheidend ist, wie lange eine Mehrheit von Menschen die eigene Zukunft mit Europa in Verbindung bringt", sagte Lippert. Den vom britischen Premier David Cameron angedachten Austritt seines Landes aus der EU kommentierte sie sachlich. "Wir müssen uns der Debatte stellen. Wir haben eigentlich heute schon eine flexible Union im Sinne Camerons."

Institutionelle Neubildungen wie die Euro-Gruppe oder die Länder, die bei der Finanztransaktionssteuer vorangingen, sorgten dabei für Spannungen mit supranationalen Organisationen wie der Kommission oder dem EU-Parlament. "Die Zahl von Sonderarrangements birgt die Gefahr, die Union zu unterminieren", sagte Lippert. Für die Mitgliedsländer in der EU könne es deshalb in erster Linie wichtig sein, den acquis communaitaire, den gemeinsamen europäischen Besitzstand, zu sichern und die Demokratieentwicklung im eigenen Land nicht zu vernachlässigen.

"Jacques Delors hatte sich immer dafür eingesetzt, Europa eine Seele zu verleihen. Das ist ein schöner Gedanke. Aber verordnen kann man ein Wir-Gefühl leider nicht", erklärte Lippert. Sie hoffe aber, dass das Thema Europa im Bundestagswahlkampf eine angemessene Rolle spielt.

Mehr Europa von unten

Über die Zukunft Europas – vor allem aber die der europapolitischen Bildung – wurde auch in den Arbeitsgruppen am Nachmittag diskutiert. Helena Schulz Jimeno vom spanischen Gewerkschaftsbund CCOO machte auf den drastischen Abbau von Arbeitsplätzen in ihrem Land aufmerksam. "Zwischen 2008 und 2012 gingen in der EU insgesamt 7,2 Millionen Arbeitsplätze verloren, 3 Millionen davon und damit knapp 40 Prozent entfielen auf Spanien", sagte Jimeno.

Besonders dramatisch sei die Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit. "53 Prozent der spanischen Jugendlichen unter 25 Jahren haben derzeit keinen Job. Im EU-Durchschnitt sind es 22,9 Prozent, in Deutschland 8,2 Prozent." In den Suppenküchen sei inzwischen jeder Dritte ein neuer Besucher. 50.000 Spanier hätten seit 2012 das Land verlassen, so Jimeno. "Wir wollen uns nicht mit einer verlorenen Generation abfinden, sondern die europäische Zivilgewerkschaft stärken", so die Gewerkschafterin.

Europäischer Freiwilligendienst für alle Gesellschaftsschichten

Mehr Europa von unten forderte auch Martin Bach, Projektmanager bei der Allianz Kulturstiftung. Die Stiftung ist derzeit damit beschäftigt, das im Mai 2012 von Daniel Cohn-Bendit und Ulrich Beck veröffentlichte politische Manifest für einen Europäischen Freiwilligendienst für alle Gesellschaftsschichten verstärkt in die europapolitische Debatte einzubringen – zusammen mit JUGEND für Europa, einem Kooperationspartner und Berater der Allianz Kulturstiftung.

"Erst am 19.Februar haben wir die Bundestagsabgeordneten und andere Experten über die Entwicklung der Initiative informiert", so Bach. "Wir wollen jetzt nach und nach Menschen in das Projekt holen, die bislang noch nicht repräsentiert sind." Interkulturelle Erfahrungen, das Verständnis für europäische Nachbarn stärken, sich selbst weiterbilden – all das seien Ziele der Initiative, die in einem Pilotprojekt jetzt erst mal mit drei bis vier europäischen Ländern umgesetzt werden sollen. "Uns ist wichtig, dass sich weitere Akteure wie Stiftungen und Vertreter der Wirtschaft einbringen. Ein reines Förderprogramm der EU ist es jedenfalls nicht", sagte Bach.

Vom sozialen Europa bis zur Europäischen Bürgerinitiative

Meilensteine der wirtschaftlichen und sozialen Integration Europas hatte Björn Hacker von der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgestellt. Die Frage, wie sozial unser Europa heute noch ist wurde ebenso kontrovers diskutiert wie die Chancen und Grenzen der Europäischen Bürgerinitiative, die Carsten Berg von Democracy International erörterte.

Die Europäische Bürgerinitiative – in der Geschichte der EU das erste Element transnationaler, partizipativer und digitaler Demokratie – kann seit April 2012 aktiv genutzt werden. Sie ermöglicht es einer Million Bürgerinnen und Bürger der EU, die politische Tagesordnung mitzubestimmen und damit die Entwicklung einer europäischen Öffentlichkeit zu befördern.

Methoden europabezogener Bildungsarbeit mit ErstwählerInnen bei der Europawahl 2014 stellten Insa Schulte und Sophie Glaser von der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar vor. Für andere europäische Initiativen wie Planspiele, Jugenddemokratieprojekte oder interaktive Straßenforen wurden Kurzpräsentationen angeboten.

Poetry Slam Europe

Höhepunkt für viele Teilnehmende des Fachkongresses: der Poetry Slam Europe am Abend. SPD-Landtagsabgeordnete Renate Hendricks zeigte sich dankbar für das Format. "Wir haben ja immer Schwierigkeiten, Europa richtig zu vermitteln. Wenn ich mich hier umschaue, muss ich sagen, ich bin beeindruckt. Der Saal ist restlos gefüllt."

Auch fachfremdes Publikum war zu der öffentlichen Veranstaltung eingeladen. Die Idee ging auf. Renommierte Poetry-Slammer wie Jan-Philipp Zymny (Deutscher Vizemeister 2012), Sascha Thamm (Finalist NRW-Meisterschaft 2011), Anke Fuchs (Gewinnerin des ZDF Kultur Slam 2012) und Florian Cieslik (Gewinner des SWR Slams 2010) dichteten sich durch den Saal. Das Publikum – begeistert. Den Auftragsarbeiten war zwar anfangs durchaus anzumerken, dass sich auch die jungen Poeten erst mal in das sperrige Thema "Europa" einarbeiten mussten. Trotzdem: Ein Anfang war gemacht. Und: Bei Gewinner Florian Cieslik und dem Zweitplatzierten Sascha Thamm wollte der Applaus gar nicht mehr enden.

Gehört die "Bild" aufs Podium?

So viel Enthusiasmus konnte die Podiumsdiskussion am nächsten Tag zwar nicht mehr versprühen. Dennoch sorgte auch der Dialog zwischen Europabildung und Politik zu der Frage, wie Europa denn nun zusammengehalten werden könne, für den einen oder anderen Schmunzler.

"Ich würde mir wünschen, dass ein Vertreter der Bild-Zeitung hier oben auf dem Podium sitzt", sagte der ehemalige Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Gerhard Schmid. "Die tun doch – negativ gesprochen – mehr für Europa in unseren Köpfen als wir alle hier zusammen."

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, erklärte, der starke Ökonomisierungsdruck in der Bildungslandschaft führe zu immer weniger politischer Bildung. Mittelkürzungen auf Landes- und Bundesebene, immer weniger Geschichts-, Sozialkunde- und Politikunterreicht in den Schulen – das sei irgendwann nicht mehr zu schultern, sagte Krüger. Dennoch wolle er – auch dank neuer Vertriebswege – sein Haus als eine Art Wikipedia für politisches und zeitgeschichtliches Wissen etablieren. Die Klickzahlen im Internet geben ihm Recht. Registrierte die Bundeszentrale 2002 noch 250.000 Seitenaufrufe im Monat, sind es heute schon 14 Millionen. "Wir versuchen mit Online-Dossiers auf aktuelle Fragen zu reagieren – und zwar so schnell wie möglich", so Krüger.

Intensiv diskutiert wurde auch über die Rolle der Journalisten im kriselnden Europa. Von ausschließlich bildungsresistenten Menschen zu sprechen sei ihm dann aber doch zu einfach, sagte Arndt Freytag von Loringhoven, Beauftragter für Grundsatzfragen der EU im Auswärtigen Amt. "So viel wie derzeit wurde noch nie über Europa berichtet", berichtete von Loringhoven, "ich sehe da viel Beachtliches."

Politische Bildung sei auch immer ein Stück Widerstand leisten, erklärte Hans-Georg Wicke von JUGEND für Europa. Seine Vision sei ein soziales und zivilgesellschaftliches Europa und ein Europa, in dem gut zusammengearbeitet werden könne. "Ich will nicht ausschließen, dass wir das nächste Fachforum auch mal ganz europäisch gestalten", so Wicke.

Positive Reaktionen der TeilnehmerInnen

Die knapp 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren mit den Ergebnissen des Fachkongresses zufrieden. "Ich fand es sehr gut, dass die Vernetzung der Teilnehmenden durch die Veranstalter von Anfang an forciert wurde. Besonders wertvoll für meine Arbeit sind die Kontakte zur Fachdidaktik in der Bundeszentrale für politische Bildung", sagte Stefanie Kessler, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd und dort für die Europa-Fortbildung von Grund-, Haupt- und Realschullehrern zuständig.

Und da gebe es noch einiges zu tun. "Für meine Zielgruppe sind eurodidaktische Materialien im Politikunterricht oft nicht zu gebrauchen, weil sie sich entweder nur an interessierte Jugendliche und junge Erwachsene richten oder schon veraltet sind. Ich versuche daher viele Materialien aus der non-formellen Bildung zu verwenden, die auch für einen niedrigschwelligen Einstieg geeignet sind", so Kessler. "Mir ist es ein Anliegen, dass gerade diese Materialien weiter entwickelt werden, um politikferne Jugendliche zu erreichen."

Zufrieden über das Fachforum äußerte sich auch Georg Schwedt, Projektmanager für europapolitische Bildung beim CIVIC-Institut für internationale Bildung in Düsseldorf. "Es ist motivierend zu erfahren, wie viele engagierte Mitstreiterinnen und Mitstreiter in der europapolitischen Bildung unterwegs sind. Gut gelungen ist auch die Balance aus fachlichen Diskussionen, Praxisgesprächen und Unterhaltung." Nur das mangelnde Interesse europäischer Politiker konnte Schwedt nicht verstehen: Warum zum Beispiel hat kein Europaabgeordneter am Fachforum teilgenommen?

(Marco Heuer im Auftrag von JUGEND für Europa)

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Veranstaltet wurde das Fachforum in diesem Jahr von JUGEND für Europa, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Netzwerk Europäische Bewegung und der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar.

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