20.04.2011

Fachforum Europa 2011: "Wirtschaft für Jugendliche – spannender als Promis und Königshäuser"

Wie interessiert man Jugendliche für die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik? Das war eine der zentralen Fragen, die auf dem diesjährigen Fachforum Europa diskutiert wurden, das im Februar in Berlin stattfand.

Mit der Überschrift "Ich versteh nur Bahnhof", hatte der Nürnberger Berufsschullehrer und Universitäts-Dozent, Dr. Peter Kührt, seinen Wirtschafts-Workshop provokativ umschrieben. Die Fachkräfte der europabezogenen Jugendbildung zeigten sich wissenshungrig. Ökonomie? Die sollten wir vielleicht auch besser verstehen, so die einhellige Meinung der Teilnehmer. Marco Heuer hat den Wirtschaftsexperten interviewt.

JfE: Herr Dr. Kührt, verraten Sie uns bitte, wie man Jugendliche für die europäische Finanzwelt begeistern kann.

Dr. Kührt: Was wir brauchen, ist kein hochtrabendes Gerede, sondern sind klare Botschaften und anschauliche Bilder. Als Lehrer oder Teamer muss man konkret, beispielhaft und zugespitzt ein Thema beleuchten können, gerade wenn es um Wirtschaft geht. Auch die Schüleraktivität ist wichtig. Wer ergebnis-, handlungs- und projektorientiert arbeitet, ist erfolgreich. Planspiele oder Fallstudien sind hilfreich, damit sich Schüler angesprochen fühlen und sich identifizieren können.

Was heißt das konkret?

Ich frage meine Schüler zum Beispiel: Ist Euch klar, dass unser Geld völlig wertlos ist? Es weist keinen Gegenwert auf, sondern ist nur vom Vertrauen der Menschen in die Kaufkraft des Geldes abhängig.

Dann erkläre ich, dass sich dieses Vertrauen – statt auf Euro – genauso gut auch auf Immobilien, Aktien, geräucherten Speck, Kartoffeln, Goldbarren oder amerikanische Zigaretten richten kann. Kaum jemand weiß, dass Banknoten und Geldmünzen nur rund sieben Prozent unseres Geldes darstellen. Alles andere sind Zahlen in Büchern.

Geld ist somit nur eine Vorstellung?

Genau. Eine Fiktion, eine Illusion. Allerdings eine sehr gut und wirksame. Sie funktioniert, so lange niemand an dem Wert des Geldes zweifelt und solange niemand in die Bank stürzt und seine Einlage wiederhaben möchte. Dies ist nur ein Beispiel, wie ökonomische Sachverhalte verständlich, anschaulich und greifbar gemacht werden können.

Welchen Nachholbedarf hatten die Teilnehmer in punkto Ökonomie?

Die Veranstaltung eines "fachfremden" Lehrers, dazu noch garniert mit dem Thema "Europäische Fiskalpolitik", stieß auf großes Interesse. Das hat mich schon erstaunt. Die Teilnehmer haben sich für Details der Inflationsmessung, des Euro-Rettungsschirms und der Insolvenz eines ganzen Staates interessiert. Und wir haben darüber gesprochen, warum die EU ihrem Kern nach immer noch vor allem einen Wirtschaftsunion und keine Sozialunion ist.

Warum sind Ihnen gerade diese Themen ein Anliegen?

Ich bin Wirtschaftler durch und durch – ob als Lehrer, Unidozent oder Buchautor. Derzeit unterrichte ich an einer kaufmännischen Berufsschule in Nürnberg die Berufsgruppe, die aktuell am meisten in der Kritik steht: Bankkaufleute.

Aber auch ungeachtet meiner beruflichen Ausrichtung ist mir das Thema ein Herzensanliegen: Mir ist es bis heute ein Rätsel, warum die meisten Menschen gerade von den Dingen, die ihr Leben am stärksten bestimmen, nahezu keine Ahnung haben. Kaum jemand verfügt über solides wirtschaftliches Grundwissen, seien es nun Verbraucherschutzbestimmungen, ihre eigenen Geldanlagen oder volkswirtschaftliche Zusammenhänge.

Und was noch schlimmer ist: Es kommt mir vor, als würde es zunehmend als schick gelten, mit seinem ökonomischen Nichtwissen öffentlich zu kokettieren.

Für Jugendliche heißt das...

...dass ich überzeugt davon bin, dass man auch als junger Mensch nur dann an der Gesellschaft aktiv mitwirken kann, wenn man ihre Zusammenhänge versteht – und dies sind vor allem ihre wirtschaftlichen Mechanismen. Und ich bin sicher: Wenn man erst einmal in die Welt der Wirtschaft hinein geschnuppert hat, erweist sich diese als mindestens ebenso spannend wie die Welt der Promis und Königshäuser.

Damit das gelingt, muss man wirtschaftliche Abläufe und Zusammenhänge so unterrichten, dass man sie auch versteht. Bei vielen meiner Kollegen hat man aber eher den Eindruck, sie wollten das Gegenteil erreichen und möglichst niemandem Einblick in ihr Herrschaftswissen geben.

Wie bewerten Sie das Fachforum Europa vor diesem Hintergrund?

Ich war beeindruckt. Die Veranstaltung war wesentlich lockerer als Lehrerfortbildungen, aber nicht weniger effektiv.

Was trauen Sie der außerschulischen Bildung heute zu?

Ich würde es begrüßen, wenn schulische und außerschulische Bildung stärker aufeinander zugingen und besser verzahnt würden. Niemand müsste sich vor einem solchen Schritt fürchten. Die Bringschuld sehe ich aber klar auf der Seite der Schule und ihrer Lehrer. Nach dem, was ich so höre, beklagen sich viele außerschulische Bildungseinrichtungen darüber, dass sie von den Lehrern nur als "Pausenfüller" verwendet werden. Von einer gleichberechtigten Zusammenarbeit kann man bislang nicht sprechen.

Ist das Thema "Europa" zurzeit überhaupt angesagt für Jugendliche?

Europa als Integrations- und Zukunftsidee eigentlich nicht. Andererseits hat Politik auf europäischer Ebene offenbar eine höhere Akzeptanz bei Jugendlichen als Politiker und politische Institutionen auf nationaler Ebene, was allerdings auch einfach an Wissensdefiziten liegen kann.

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Das Manuskript zum Workshop von Dr. Peter Kührt finden Sie in der Dokumentation des Fachforums Europa.

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Nähere Informationen zu den Projekten von Dr. Peter Kührt sind nachzulesen unter www.kubiss.de/bildung/projekte/schb_netz/.

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